Wer will ein illustriertes Buch von mir?

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Die Leseprobe:

(Ich habe Kapitel 5 ausgewählt, weil Alain da endlich auftaucht. Wer Alain ist? Nun …)

Kapitel 5

Heute erkundete ich die Wälder im Süden von Beauregard. Ich hatte nicht daran gedacht, dass ich genau dort das seltsame Tier gesehen hatte. Ich hatte auch nicht daran gedacht, wie schnell die Sonne inzwischen versank und wie schnell der Nebel kam, sobald sie weg war.
Und ich hatte keine Ahnung gehabt, wie finster es nachts im Wald war.
Stockfinster.
»Kacke«, sagte ich zu den düsteren Baumriesen um mich herum.
Das letzte Licht schwand und ich war ganz allein, wer weiß wie weit von Beauregard entfernt. Es roch nach Moder und verrottetem Holz. Eine Eule schrie. Vermutlich war es eine Eule.
Der Weg war kaum noch zu erkennen. Schon nach kürzester Zeit sah ich ihn gar nicht mehr. Ich schaute mich um, hoffte, irgendwo Licht zu erblicken, und wurde enttäuscht. Kälte und Nebel krochen unter meine Kleider. Ich schluckte. Sah auf mein Handy, das mal wieder keinen Empfang hatte. In einer Stunde gab es Abendessen. Wie lange würden sie brauchen, um zu bemerken, dass ich fehlte?
Würde überhaupt jemandem auffallen, dass ich nicht da war? Oder würde erst morgen jemand meine Abwesenheit bemerken, wenn ich nicht zum Unterricht erschien?
Louise wird sicher niemandem Bescheid sagen, dachte ich und versuchte, zu lächeln.
Langsam setzte ich Fuß vor Fuß, ertastete den Weg, bis ich fast in einer Schlammpfütze versank. Wieder erklang der Ruf einer Eule. Es raschelte, rechts von mir, und ich schrak zusammen.
Eine Maus. Bestimmt nur eine Maus.
Mit eiskalten Fingern holte ich mein Handy hervor und schaltete es ein. Das Licht schien auf den nebelverhangenen Weg. Alles darum versank in Schwarz.
Mir war eiskalt.
Lieber Gott, dachte ich. Wenn du mich den Scheiß hier überleben lässt, betrete ich den Wald nie wieder. Versprochen.
Mit klopfendem Herzen ging ich voran. Ich folgte dem Weg, den ich gekommen war. Hoffentlich war er es. Hoffentlich hatte ich keine Abzweigung genommen und marschierte nun in die falsche Richtung.
Ein Heulen erklang.
Fast hätte ich mich eingepisst, als ich das Geräusch hörte. Erst, nachdem das panische Rauschen in meinem Kopf verklungen war, kapierte ich, dass es weit weg war.
Noch.
Ich bekam keine Luft mehr. Mein Körper versteinerte. Am ganzen Körper bebend stand ich auf dem Weg, das Handy in den klammen Fingern und konnte mich nicht rühren. Das Handy! Es leuchtete in der Schwärze wie ein Signalfeuer. Als wollte ich sagen: Hier bin ich! Bitte friss mich!
Ich bekam das Zittern weit genug in den Griff, um den Daumen vom Knopf des Handys zu nehmen. Nach mehreren schrecklichen Sekunden erlosch das Licht.
Und ich war vollkommen allein in der Dunkelheit, begleitet nur vom jämmerlichen Geräusch meines Atems, den ich nicht unter Kontrolle bekam.
Ruhig. Ganz ruhig. Du musst verschwinden.
Ich schloss die Augen und versank in mir selbst. Ich stellte mir vor, wie meine Umrisse unschärfer wurden, mein Körper transparent, wie mein Geruch verblasste und das Geräusch meines Atems unhörbar wurde.
Mein Herzschlag beruhigte sich.
So langsam ich konnte, hob ich den linken Fuß und machte einen Schritt vorwärts. Kein Biest brach aus dem Nebel und verschlang mich.
Ich öffnete die Augen und war überrascht, etwas zu sehen. Trübes Grau schimmerte rechts von mir, zwischen gekrümmten Formen, die ganz sicher Baumstämme waren und keine Monster.
Du kannst das, dachte ich. Du schaffst das. Da vorne ist eine Lichtung und …
Ich dachte an die Lichtung, über die das Biest gerannt war. Stellte mir vor, wie ich sie betrat und das Monster schon auf mich wartete.
Etwas heulte. Nicht vor mir, sondern weiter links, und weit entfernt.
Aber näher als vorhin.
Übelkeit zurückdrängend schritt ich voran, bis das spärliche Licht heller wurde. Es war kaum ein Schimmer, doch in der Schwärze ringsum gut zu sehen.
Wenige Schritte später stand ich auf einer Straße.
Es war die Straße, auf der ich vor wenigen Tagen hergekommen war, in einem Porsche Cayenne, und zum ersten Mal Beauregard erblickt hatte. Beauregard lag auch jetzt unter mir, klein durch die Entfernung, halb verborgen im Nebel, die Fenster hell erleuchtet und so wunderschön, dass ich ein Schluchzen kaum unterdrücken konnte.
Nie mehr Wald, dachte ich und begann zu rennen. Meine Füße knallten auf den Asphalt und ich war viel zu schnell, um das Tempo bis dort unten durchzuhalten. Die dunkelgraue Straße war im Mondlicht gut sichtbar, und nach einigen keuchenden Minuten sah ich in viel zu weiter Entfernung die krumme Brücke, über die wir vor wenigen Tagen gefahren waren. Zwei Laternen erhellten sie auf jeder Seite, und in ihrem warmen Licht sah sie aus wie eine magische Passage. Wenn ich die Brücke überquerte, war ich in Sicherheit, bestimmt.
Etwas war hinter mir.
Ich spürte es ganz deutlich, obwohl nichts zu sehen war, als ich mich umdrehte. Nichts als Nebel, der immer dichter war. Ich hörte keinen Laut, bis auf meine Schritte und meinen Atem, aber ich war absolut überzeugt, dass etwas mich verfolgte.
Also beschleunigte ich. Versuchte, mich noch unsichtbarer zu machen. Und stolperte und fiel der Länge nach hin. Schmerz schoss in meine Handflächen und Knie. Mein Körper schlug auf dem Asphalt auf und ich wusste, dass es vorbei war.
Doch das war es nicht. Nichts packte mich mit spitzen Zähnen, kein warmer Geifer rann über meinen Nacken, während das Biest ihn knackte wie eine Walnuss. Nichts geschah.
Mein Atem war ein pfeifendes Keuchen. Der Puls dröhnte mir so sehr in den Ohren, dass ich nicht einmal die nächtlichen Waldgeräusche hörte. Hechelnd stemmte ich mich hoch. Versuchte, mich zu beruhigen.
Das Monsterdasmonsterdasmonster …
Neben mir lag der Bach, der an der Straße entlang lief, bevor er sich unter der Brücke hindurch wand und an Beauregard vorbeizog, aber ich hörte weder Gluckern noch Rauschen. Ich schleppte mich Schritt für Schritt weiter, als ich schließlich doch etwas hörte: leises Röhren.
Mein Puls und mein Atem hatten sich endlich etwas beruhigt, aber es war zu spät. Das Röhren war schon fast bei mir. Ich wirbelte herum. Zwei leuchtende Augen schälten sich aus dem Nebel, Schwaden zerrissen, weil ein weißglänzender Leib sie zerfetzte.
Kein Monster. Ein Auto.
Das mich schon fast erreicht hatte. Bremsen quietschten. Aber es fuhr viel zu schnell, um rechtzeitig anzuhalten.
Mit einem Aufschrei stolperte ich zur Seite und stürzte in die Tiefe.
Die nicht allzu tief war. Ich prallte seitlich auf die Wasseroberfläche und dann umfing mich eisiges Nass. Zum Glück war der Bach kein Fluss. Als ich mich prustend aufrichtete, merkte ich, dass das Wasser mir nur bis zum Bauchnabel ging. Die Strömung ließ mich einen Moment lang taumeln, dann stand ich, bibbernd auf rutschigen Kieseln und Schlamm.
Türen klappten. Das Auto, ein Jaguar, dessen Kurven tatsächlich an eine springende Raubkatze erinnerten, war ein paar Meter hinter mir zum Stehen gekommen und stand nun schräg auf der Straße. Gut, dass ich in den Bach gehechtet war. Das hätte ich nicht überlebt.
Jemand stieg aus und rannte auf mich zu. Am Ufer blieb er stehen und im Licht der Scheinwerfer sah ich ein Gesicht mit weit aufgerissenen Augen, einen flatternden Mantel und ein weißes Hemd. Volles Haar, das dem Mann chaotisch in die Stirn fiel. Lange Beine. Und ein Gesicht von der absurden Schönheit einer griechischen Statue.
»Geht es dir gut?«, rief der Mann und stützte die Hände auf die Knie. Er keuchte, als wäre er gerannt und dann in einen Bach getrieben worden, und nicht ich. Der Mistkerl.
»Nein, geht es mir nicht!«, brüllte ich. »Wie kannst du so rasen, du Vollidiot! Du hättest mich fast umgebracht!«
»Merde.« Er atmete schwer. »Tut mir leid, ich …« Er musterte mich, als hätte er etwas vor sich, das er noch nie erblickt hatte. »Ich habe dich nicht gesehen.«
»Natürlich nicht!« Ich ballte die Hände zu Fäusten. »Bei dem Nebel und dem Scheiß-Tempo! Sei froh, dass ich nicht tot bin!«
»Ich bin froh.« Er wirkte irritiert. »Aber … Ich habe dich wirklich nicht gesehen. Ich habe die Straße gesehen, aber dich nicht. Wie kann das sein?«
Vermutlich war ich noch im Unsichtbarkeitsmodus gewesen, um nicht von Monstern zerrissen zu werden. Aber er war trotzdem gerast.
Zornentbrannt stapfte ich auf ihn zu. Wasser rann von meinem Körper, pappte meine Klamotten an die Haut und wenn ich nicht so wütend gewesen wäre, hätte ich erbärmlich gefroren. Doch ich war wütend, und das würde ich diesen Trottel spüren lassen.
»Was«, brachte ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, »hast du dir dabei gedacht, so zu rasen?«
»So fahre ich immer.« Er starrte mich an, als sei ich ein Seeungeheuer. Je näher ich kam, desto attraktiver wurde er. Und desto mehr wuchs mein Zorn.
Mistkerl, dachte ich. In deinem teuren Mantel und der Angeberkarre und …
»Und wie viele Leute hast du schon totgefahren?«
Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Sie waren so dunkel wie seine Haare. »Keinen. Ich habe ausgezeichnete Reflexe.«
Ich war nah genug herangewatet, um ihm vor die Füße zu spucken. Also tat ich das. Er schaute mich ungläubig an.
»Ausgezeichnete Reflexe? Am Arsch«, knurrte ich. »Ich hab mit Leuten im Knast gesessen, die jemanden totgefahren haben, und weißt du, was die alle behauptet haben? Genau: dass sie ausgezeichnete Reflexe hätten. Wenn deine Scheiß-Reflexe so gut wären, hättest du mich früher gesehen.«
»Aber du warst … du warst nicht da und plötzlich warst du es.« Er steckte die Hände in die Taschen seines Mantels und musterte mich. »Wie hast du das gemacht? Bist du ein Geist?«
»Ja, der Geist der Arschtritte.« Langsam verließ mich die Wut und machte unkontrolliertem Zittern Platz. »F-Fuck.«
Er streckte mir eine Hand hin und ich ergriff sie. Sie war wunderbar warm, heiß, im Vergleich zu meiner eisigen Fischklaue. Mit einem Ruck holte er mich aus dem Wasser.
»Es tut mir wirklich leid.« Er zog den Mantel aus und legte ihn um meine Schultern. »Komm mit, ich bringe dich ins Warme.«
Ich wollte ihm sagen, wo ich wohnte, aber meine Zähne klapperten zu stark. Und als er mich auf den Beifahrersitz verfrachtet hatte, fuhr er ohnehin nach Beauregard. Wohin auch sonst? Die Straße endete dort.
Erst, als er vor dem Hauptgebäude bremste, wurde mir klar, in wessen Jaguar ich saß.
Merde, dachte ich und kapierte zudem, dass ich ihm nicht nur vor die Füße gespuckt, sondern auch vom Knast erzählt hatte … den ich aus meinem Lebenslauf wohlweislich herausgehalten hatte. Madame Rouanet wollte keinen vorbestraften Privatlehrer, so viel war sicher.
Mist.
»Komm mit«, sagte Alain Rouanet und sprang aus dem Auto. Ohne den Mantel waren die Formen seines Körpers deutlicher und mir wurde klar, warum seine Hemden mir nie genau passten. Obwohl wir gleich groß waren, hatte er wesentlich breitere Schultern.
Ich fror immer noch, und ich fand ihn immer noch nicht besonders sympathisch. Aber ich würde mit ihm reden müssen. Steifgefroren stieg ich aus.
»Warte.« Ich behielt die Eingangstür im Blick. Gleich würde Timéo herauskommen und vermutlich auch jeder andere in der Villa. »Kannst du mir einen Gefallen tun?«
»Sicher.« Schwungvoll drehte er sich zu mir um. Er schien immer in Bewegung zu sein. Schon wieder verschwanden die Hände in den Hosentaschen und Locken purzelten über seine Stirn. Er war das absolute Gegenteil von mir. Er war nicht unsichtbar, er war überwältigend. Als trüge er ein Übermaß an Lebensenergie in sich, als würde sein Körper gleich auseinanderplatzen, weil er bis zum Anschlag damit gefüllt war. Sein Gesicht war eine einzige Verschwendung. So viel Schönheit hätte für ein Dutzend andere Männer gereicht.
»Sag ihnen nicht, dass ich im Knast war«, bat ich widerwillig.
Die Tür ging auf und Timéo trat heraus. Licht fiel über die Treppenstufen und zauberte goldene Reflexe in Alain Rouanets Rabenfederhaare.
Fragend sah er mich an.
»Ich erkläre es d-dir später.« An der frischen Luft klapperten meine Zähne wieder, trotz des Mantels um meine Schultern.
Alain nickte fast unmerklich, dann wandte er sich um. »Timéo! Schön, dich zu sehen!«
Ein uncharakteristisches Lächeln erhellte Timéos Züge. »Monsieur Alain.« Er hielt die Tür mit der rechten Hand auf und streckte Alain die linke hin.
Alain legte die Autoschlüssel hinein. »Pass gut auf sie auf. Oh, und falls du Lust hast, darfst du eine Runde drehen.«
Timéos Augen leuchteten. »Aber …«
»Ich bestehe darauf. Sag mir nachher, was du von ihrer Kurvenlage hältst.«
Ihrer. Kurvenlage. Was?
Timéo sprintete die Stufen hinunter, als hätte er ein heißes Date, und übersah mich vollkommen, obwohl ich triefend neben dem Jaguar stand. Alle anderen übersahen mich ebenfalls.
Ich konnte mich ungesehen durch die Eingangshalle schleichen, weil sämtliche Bewohner Beauregards Alain umringten, ihn ausfragten und mit ihm lachten.
Es schien, als würde seine Strahlkraft meine Unsichtbarkeit noch verstärken. Was mich hätte freuen sollen, denn triefnass wie ich war, hätte ich ganz sicher mehr Aufmerksamkeit bekommen als ich wollte. An so etwas erinnerte man sich.
‚Der Typ, den Alain fast überfahren hätte‘ würde mehr auffallen als ‚Der Deutschlehrer, der eh bald wieder geht‘. Aber ich freute mich kein Stück. Ich zitterte.


Erst, als ich fünf Minuten später unter der Dusche stand, entspannte ich mich etwas. Heißes Wasser rann über meinen Körper und lockerte meine Muskeln. Ich massierte mir Limetten-Shampoo in die Kopfhaut und stöhnte leise.
Was war vorhin eigentlich nicht schiefgelaufen? Ich wäre fast von einer Bestie gefressen worden, hatte mir beim Sturz Knie und Handgelenke aufgeschürft und dann … Was Alain Rouanet betraf, war eigentlich alles eine Katastrophe. War ich gefeuert? Soweit ich mich erinnerte, hatte ich ihn als Vollidioten bezeichnet, ihm einen Arschtritt angedroht und ihm von meiner Vorstrafe erzählt.
Ich hätte gleich damit rausrücken sollen, dachte ich. Jetzt werden die Rouanets sich alles Mögliche ausdenken, und die Wahrheit werden sie mir auch nicht glauben. Was habe ich mir dabei gedacht?
Ich fühlte mich, als würde die Klinge einer Guillotine über mir schweben. Eine Klinge namens Alain Rouanet. Wenn der sich bei seiner Mutter über mich beschwerte … Wenn er ihr sagte, dass ich sie getäuscht hatte oder dass ich gedroht hatte, ihn zu verprügeln …
Aber ich konnte nichts daran ändern. Was immer beim Abendessen geschah, lag nicht mehr in meinen Händen, sondern in seinen.
Um ehrlich zu sein, mochte ich ihn nicht besonders. Ich dachte selten daran, was ich alles verloren hatte, aber Alain Rouanet führte es mir klar vor Augen. Er hatte sicher nie um einen Job bangen müssen, von dem seine Zukunft abhing. Er konnte sorgenfrei studieren, in Paris, wie ich erfahren hatte. Ja, selbst das hatte er. Wo ich von ein paar Tagen in Paris träumte, wohnte er dort. Er lebte nicht nur meinen Traum, er lebte einen weit besseren.
Mistkerl.


Beim Abendessen war Alain das einzige Gesprächsthema. Alle liebten ihn. Timéo schwärmte von seinem Auto, Jeanne von seiner Freundlichkeit, Alice von seinen breiten Schultern. Ich spürte, wie mein Hemd, das einst ihm gehört hatte, genau dort sehr locker saß und schaufelte missmutig Ratatouille in mich hinein. Das Essen war köstlich, und Marines Mann bekam mal wieder Komplimente ohne Ende, aber meine Geschmacksnerven waren wie betäubt von meiner Zukunftsangst.
»Als ich die Suppe aufgetragen habe, hat er gerade Monsieur Didier nachgemacht«, sagte Jeanne. »Ich hätte fast die Teller fallen lassen. Er hätte Schauspieler werden können.«
»Ich weiß noch, wie er damals mit der Werwolfsmaske herumgelaufen ist.« Marine schüttelte den Kopf. »Gut, dass er jetzt erwachsen ist. Ich hab mich zu Tode erschreckt, als er hinter der Treppe hervorgekommen ist.«
»Die kleine Pest.« Ihr Mann lächelte. »Weiß man, ob er eine neue Freundin hat?«
Alice schüttelte den Kopf. »Nichts gehört. Hoffentlich sucht er sich eine Bessere aus als die, die letztes Mal dabei war. Ich will nicht gemein sein, aber die war nicht gut genug.«
»Nein.« Timéo schüttelte den Kopf. »Ich meine, hübsch war sie, aber so arrogant.« Er machte eine Bewegung, die wohl Hochnäsigkeit ausdrückte. »Hat zu keinem von uns auch nur Bitte oder Danke gesagt.«
»Wenn er die behalten hätte, hätte ich ihr Juckpulver in die Schlüpfer gestreut«, sagte Alice. »Er sollte eine haben wie … na, wie Madame Montpellier. Eine, die gut ist, aber nicht langweilig. Eine mit Feuer.«
Madame Montpellier war Louises verstorbene Mutter und über sie wurde stets in andächtigem Ton geredet. Madame Rouanet, ihre Schwester, tat mir beinahe leid. Sie wurde respektiert, aber Madame Montpellier war geliebt worden.
Das Thema ‚Alain Rouanet‘ beherrschte den Rest des Abends und ich war froh, als es beendet war. Doch als ich Alice half, die Teller vom Tisch zu räumen, erzählte sie mir etwas, das mir noch weniger gefiel.
»Hast du gehört?«, fragte sie. »Bei Bebon haben Wölfe ein Schaf gerissen. Marine meinte, du hättest sie heulen gehört?«
Ich nickte. »Gibt es hier viele Wölfe?«
»Nein. Sie ziehen durch, aber man bekommt nicht viel von ihnen mit. Ab und zu reißen sie ein paar Schafe.« Sie schnalzte mit der Zunge. »Aber diese Wölfe waren komisch. Der Bauer hat nur einen von ihnen gesehen und er meinte, der war riesig. Natürlich glaubt ihm keiner.«
Ich konnte nicht widerstehen. »Ich habe auch etwas gesehen. Draußen im Wald. Es sah aus wie ein großer Hund. Größer als ein Wolf.«
»Hast du schon einmal einen Wolf gesehen?«, fragte sie zweifelnd.
»Nein.«
»Wie gut hast du das Vieh gesehen?«
»Nicht besonders. Es war weit weg. Und neblig.«
Sie zuckte mit den Achseln. »Neblig ist es hier immer im Herbst. Wahrscheinlich habt ihr euch verguckt, du und der Bauer.« Sie legte den letzten Teller auf den Stapel und bedeutete mir elegant, mich in die Küche zu begeben, wo Marine und Timéo schon abwuschen. »Keine Angst, Wölfe greifen fast nie Menschen an.«
»Was ist mit anderen Tieren?«
»Sie greifen schon andere Tiere an, klar, sonst hätten sie ja nichts zu Fressen …«
»Nein, ich meine, ob es andere Tiere gibt, die größer als Wölfe sind und auch heulen.«
»Meinst du die Bestie?« Sie lachte. »Die ist schon längst tot. Und die hat auch nicht hier gelebt, das war weiter weg.«
»Welche Bestie?«
»Na die, die die ganzen Leute umgebracht hat. Damals, so siebzehnhundert … keine Ahnung. Es heißt, es wäre ein Löwe gewesen, der aus einer Menagerie entkommen ist.«
Ah, sie meinte wohl die Bestie des Gévaudan. »Nein, die meine ich nicht. Löwen heulen nicht, oder?«
»Nein. Und die Bestie ist tot. Ehrlich.« Mitleidig legte sie mir eine Hand auf die Schulter. »Das ist schon ewig her, echt. Im Wald ist nichts, vor dem du Angst haben müsstest.«
»Danke.« Ich wollte ihr glauben, wirklich. Trotzdem hatte ich keine Lust, diesen verdammten Wald je wieder zu betreten.
Natürlich tat ich es trotzdem.

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